Prof. Dr. Dr. Rainer Hudemann - Straße des 13. Januars

Strasse des 13. Januar

 

Ratlosigkeit beim Betrachten dieser Straße des 13. Januar, dann Wut über Gedankenlosig­keit im Land, bald zugleich das Erkennen, mit künstlerischen Mitteln das Problem zwar aufdecken, doch auch nicht bewältigen zu können: Mia Unverzagt ist tief betroffen, sie klagt an, aber sie ist in aller Anklage bescheiden im Anspruch dessen, was sie als Künst­lerin beizutragen vermag. Das macht sie um so überzeugender in ihrer Suche danach, wie man mit der Vergangenheit umgehen kann. Aufrüttelnd in ihrem Aufruf gegen Gedankenlo­sigkeit.

Daß ihr Aufruf notwendig ist, zeigen allein schon die Leserbriefe, von denen manche in der Selbstgerechtigkeit eine allzu einfache Antwort suchen. Eine vielleicht verständliche Antwort, geht es doch um die eigene Jugend oder um die Toten in der eigenen Familie. Und doch eine unzureichende Antwort. Denn natürlich wußte man um die Jahreswende 1934/35 viel mehr über den Nationalsozialismus als im Januar 1933. Erst recht an der Saar, wo die Presse noch viel freier war und gerade darüber im Abstimmungskampf täglich und öffent­lich erbittert gestritten wurde. "Im Reich" war das schon längst nicht mehr möglich.

Wie viele haben Hitler und sein Regime dennoch unterschätzt? Wie viele verschlossen aus nationalen Beweggründen die Augen vor der Unterdrückung in Deutschland seit 1933, und wie brachten sie das fertig? Wie viele haben im Bewußtsein der in Deutschland begangenen Verbrechen für die Rückgliederung gestimmt? Welche Wirkung hatte es, daß an der Saar durch die Völkerbundsverwaltung und die oft sehr ungeschickt vorgehende französische Grubenverwaltung so viele Konflikte, die "im Reich" innenpolitische oder soziale Konflikte waren, in nationalen Gegensätzen ausgetragen worden waren? Wie viele Saarländer hat das anfälliger für Hitlers "nationale Revolution" gemacht? Oder blind für ihre Wirklich­keit? Mit "links" und "rechts" hatte das nur teilweise zu tun - ganz unterschiedlichen politischen Tendenzen gehörten diejenigen an, die der 13. Januar zur Flucht zwang.

Mia Unverzagt beansprucht nicht, die Antworten zu haben. Aber sie hat recht zu fragen. Als Künstlerin hat sie mit ihren Mitteln - auch das zeigen die Briefe - schon mehr aufgerüt­telt, als manches Buch es vermochte. Mit der in Deutschland so gern geübten Straßen­umbenennung wäre es nicht getan. Tatsächlich verbergen sich hinter der Selbstgerechtig­keit auch nach über sechs Jahrzehnten noch die besonderen Schwierigkeiten einer Grenz­landbevölkerung. Die Diskussion über Mia Unverzagts künstlerischen Versuch läßt sie in Wirklichkeit überscharf hervortreten.

Respekt vor dem Engagement der Künstlerin. Respekt vor ihrer Suche nach neuen Aus­drucksmitteln für letztlich vielleicht unlösbare Probleme und Frage

 

Prof. Dr. Dr. Rainer Hudemann

 


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