Interview in der Städtischen Galerie Bremen, am 4. September 2015 anlässlich der Ausstellung "Dialog - Anna Gaskell und Mia Unverzagt"
- INGMAR: Ihr habt eine besondere Art der Kooperation gewählt. Mia, wie schwierig war es, einen wichtigen Teil deiner bereits existierenden Arbeit wegzugeben, ohne das Ergebnis zu kennen? Anna, wie schwer war es, visuell vom bereits vorhandenen Werk einer Kollegin abhängig zu sein, das du gut kanntest?
- MIA: Wir hatten schon bei GESCHICHTEN ERZÄHLEN und ICH WEISS WAS JUNGS GEFÄLLT zusammengearbeitet, bevor wir uns geeinigt haben, dieses Projekt zu machen. Wir hatten schon viel über unsere Ideen gespochen und das, zusammen mit der Tatsache, dass ich Annas Arbeit schon lange kenne und schätze, hat es beinahe einfach gemacht, ihr meine Fotos zu geben und die Kleider zu ihr zu schicken.
- ANNA: Es ist lustig, dass du das Wort Kooperation verwendest. Es hat sich mehr wie ein Wagnis angefühlt. Es fiel mir leicht, mich von Mias Arbeiten zu distanzieren, weil ich glaube, sie hat eine Art die Kamera zu benutzen (weniger als Eindringling und mehr als Teilnehmerin), die für ihre Arbeitsweise bei diesen speziellen Fotos wichtig war. Ich möchte die Kamera auf eine andere Art benutzen, als Werkzeug zum Aufzeichnen, zum Katalogisieren von Bewegungen. Ich habe immer wieder über Mias Titel HALTEN SCHÜTZEN KLAMMERN nachgedacht, der für mich erschreckend bedürftig klingt; ich wollte diese Worte in einer methodischeren Form einsetzen, um mich zu meiner Arbeit anregen zu lassen.
- INGMAR: Anna, hattest Du über eine Arbeit wie diese nachgedacht, bevor du Mias Fotoserie gesehen und die Kleider von ihr bekommen hast?
- ANNA: Meine Arbeit zu machen, indem ich sie um die Vorstellung einer anderen Person davon was Kunst ist herum entwickle, hat mich sofort an eine Tänzerin erinnert und an deren Medium, ihren Körper. Es gibt einen Film von 1977 mit dem Titel: “The Children of Theatre Street”, über die Kirov Ballettschule, der von Fürstin Gracia Patricia von Monaco gesprochen wird. In diesem Film sitzt und betrachtet eine Gruppe von Juror*innen, wie junge Kinder für die Balettschule (die jetzt Mariinskiy heißt) vortanzen. Trainer*innen stehen mit den Tänzer*innen vor den Juror*innen und halten ihre Gliedmaßen, drücken, formen und biegen ihre kleinen Körper in einer seltsamen Untersuchung, wie weit sie dabei gehen können. Ich habe die Bilder dieses Films in den letzten 13 Jahren mit mir herumgetragen und auf eine Gelegenheit gewartet, bei der ich versuchen kann zu erklären, was mich daran fasziniert, wie die Entstehung von Tänzer*innen ins Leben gerufen wird
- INGMAR: Würdet ihr zustimmen, dass die beiden Serien für eure jeweilige Art mit Menschen zu arbeiten typisch sind? Selbst die Titel scheinen auf diese Unterschiede zwischen euch zu verweisen.
- ANNA: Künstler*innen arbeiten unterschiedlich mit Leuten, abhängig davon wo sie leben. Früher, als ich in Des Moins, Iowa gearbeitet habe, wo ich herkomme, wären die Leute beleidigt gewesen, wenn ich ihnen angeboten hätte, sie für ihre Zeit zu bezahlen. Bei den Lebenshaltungskosten in New York muss ich darauf bestehen, die Leute zu bezahlen. (Und die meisten Leute bestehen darauf, bezahlt zu werden.) “Invisible Storytellers” von Sarah Kozloff war die Inspiriation für den Titel VOICE OVER (Off-Stimme). Ich habe mir die Frau, die die Modelle anleitet (meine Nachbarin Anne) als Bauchrednerin vorgestellt.
- MIA: Für HALTEN SCHÜTZEN KLAMMERN habe ich so mit den Leuten gearbeitet wie ich das immer tue. Es ist ein Prozess in dem ich den Rahmen vorgebe. Ich wähle das Setting und entscheide wie die Struktur aussehen soll. Dann lade ich Andere ein in dieses Setting zu kommen und dort zu tun was sie möchten / was sie sich zu tun vorstellen können innerhalb der vorgegeben Situation. Ich bin sehr neugierig darauf was sie wählen und wie sie sich bewegen und interagieren und begleite sie dabei mit der Kamera. Meine Art zu arbeiten beeinhaltet viel Offenheit.
- INGMAR: Ihr habt beide nicht mit professionellen Schauspieler*innen gearbeitet, trotzdem gibt es einen deutlichen Eindruck von Schauspiel in beiden Serien. Warum ist es anders, einfacher, besser mit normalen Leuten zu arbeiten? Und wie schwierig ist es, Leute, die ihr persönlich kennt, in die Rollen zu stecken, die sie in euren Fotos spielen?
- ANNA: Das hängt vom Projekt ab. Ich arbeite lieber mit Schauspieler*innen, die bezahlt werden als Freund*innen um einen Gefallen zu bitten. Eine große Gruppe meiner vielbeschäftigten Freund*innen zusammen zu bekommen, um mir an einem Samstag Nachmittag bei Aufnahmen zu helfen ist mühsam. Aber es war wichtig für VOICE OVER, für jede Rolle in diesen Fotos ganz verschiedene Frauen zu haben, das Modell, die Trainerin, die Jurorinnen. Auf eine seltsame, “Jungianische” Weise stellte ich mir alle diese Rollen als von mir gespielt vor. Und wer könnte mich besser verteten, als die Frauen, die ich am meisten liebe.
- MIA: Der Punkt ist: ich stecke Leute nicht in Rollen. Ich lade sie in Situationen ein, es geht um einen sozialen Raum, in dem wir uns bewegen. Und der verändert sich, wenn Geld im Spiel ist, weil sich durch Geld die Gründe warum jemand etwas tut verändern, daher arbeite ich nie mit Schauspieler*innen.
- INGMAR: Ihr wählt beide eine Mischung von Medien, beginnt mit einer Kunstaktion (Performance scheint keine gute Beschreibung eurer Serien zu sein) und produziert dann eine Fotoserie als visuelles Ergebnis für die Ausstellung. Wie wichtig ist die Aktion am Anfang und warum ist es mehr als ein Tableau vivant, aber trotzdem nicht so wichtig, uns an der Performance teilnehmen zu lassen?
- ANNA: Ich würde die Fotos in VOICE OVER nie als Performance verstehen. Ich möchte, dass die Produktion, die stattfindet, außerhalb des Bildes ist und außerhalb des Bildes bleibt. Die Bilder sind Illustrationen von Anweisungen. Ich stelle sie mir vor wie Fotografien in einem Medizinbuch über Herz-Lungen-Reanimation. Es könnte zum Beispiel das Bild einer Person sein, die einer andern Person auf den Brustkorb drückt, oder ihr die Nase zusammenkneift, aber ich würde diese Darstellungen niemals als Performance verstehen.
- MIA: Die Leute, die ich einlade, arbeiten für Stunden an den Performances. Normalerweise dauern sie einen ganzen Tag und es geht darum, gemeinsam in einer Situation zu sein. Die Fotos sind Ausschnitte, sie werden nach formalen Kriterien ausgewählt. Es geht in meiner Arbeit sehr um formale Fragen.
- INGMAR: Auffällige Kleidung ist ein wesentlicher Verbindungspunkt zwischen euren Arbeiten. In wie weit haben diese eigenartigen Elemente die jeweilige Serie beschränkt, inwieweit sie befördert?
- MIA: Da die Kleider deutlich aus einer lange vergangenen Zeit stammen und die Art wie sie benutzt werden zeitgenössisch ist, eröffnet sich durch ihre Verwendung ein Abstand, ein Zwischenraum. Und ich liebe Zwischenräume.
- ANNA: Kostüme, Beleuchtung, und Location sind wichtig, unabhängig davon ob man mit wirklichen Schauspieler*innen oder mit Freund*innen arbeitet, oder ob es seine Turnhalle ist oder ein Blumenfeld. Ich glaube Mia würde zustimmen, dass all diese Elemente von großer Bedeutung sind um eine Welt zu gestalten, die für die Betrachtenden glaubhaft ist.
- INGMAR: Ausgehend von den Kleidern gelangt ihr zu sehr unterschiedlichen Settings (Aussenraum, romantisch, expressionistisch versus Innenraum, renaissance, Neue Sachlichkeit) Ist das eine persönliche künstlerische Interpretation der Kleider oder wie wichtig sind diese für das spezielle Setting der Fotos?
- MIA: Ich interessiere mich dafür, wie Körper sich bewegen und wie diese Bewegungen von der Umgebung abhängig sind. Von der physischen und von der sozialen Umgebung. Kleidern, Architektur, Möbeln, gesellschaftliche Konventionen, persönliche Vorlieben und Wahlmöglichkeiten.
- ANNA: Die Kostüme, die Mia ausgewählt hat, waren offensichtlich Hauskleider für Frauen aus den 70er Jahren und ich war ein bisschen panisch, weil ich nicht wusste, wie ich diese spezielle Zeit-Falle in meine Arbeit einfügen sollte. Ich versuche, Kostüme immer mit einer Qualität von Zeitlosigkeit zu gestalten. Ich möchte nicht, dass die Betrachtenden durch das, was die Schauspieler*innen tragen, ein Jahrzehnt festlegen können… vielleicht können sie es darüber bestimmen, wie die Fotos aufgebaut sind, aber ich versuche, diesen Faktor bei den Kostümen zu vermeiden. Am Schluss haben wir Mias Kleider zerschnitten und die Krägen und Knöpfe geändert, um die zeitliche Einordnung zu erschweren.
- INGMAR: Eure Fotos haben etwas Surreales. War die absurde Differenz zwischen den künstlichen Posen und dem natürlichen Settings (dem Blumenfeld ebenso wie der Turnhalle) beabsichtigt?
- MIA: Ich würde für meine Arbeiten weder von Posen sprechen, noch von Künstlichkeit. Absurdität zu vermeiden ist allerdings unmöglich, wenn man in der aktuellen gesellschaftlichen Situation arbeitet, ich glaube nur, sie speist sich bei HALTEN SCHÜTZEN KLAMMERN aus anderen Quellen.
- ANNA: Bei den Bewegungen von Anne und den Schauspieler*innen geht es um Anweisungen. Ich brauchte eine Umgebung, die einen disziplinierten und systematischen Ausdruck fördern würde. Die Turnhalle in der YMCA Jugendherberge in der 92sten Strasse in New York hat auch einen Aufführungsbereich mit einer winzigen in den Saal eingebauten Bühne. Die Fotos von VOICE OVER werden von der Bühne am Ende des Raumes eingerahmt, bei der der große Vorhang zugezogen ist. Für diese Bilder war das Theater mit dem geschlossenen Vorhang perfekt, um die Tatsache anzudeuten, dass dies keine Performance ist.
- INGMAR: Eure Fotografien laden dazu ein, sie erzählerisch zu lesen. Wie narrativ habt ihr die Serien geplant?
- MIA: Susan Sontag hat gesagt: “Nur die Narration erlaubt uns zu verstehen”. Ich hoffe, meine Narration ist schäbig und fragmentiert genug, um ein klares Verstehen zu vermeiden. Ich glaube, dass das auch für Annas Arbeit gilt.
- INGMAR: Beide Serien stehen offensichtlich als Kunstwerke für sich selbst. Wo sind die starken Verbindungen zwischen beiden Arbeiten, die wir in zukünftigen Ausstellungen nicht sehen werden? Oder, was gewinnt man durch den direkten Vergleich, den man als Besucher hier in der städtischen Galerie und in diesem Katalog anstellen kann?
- MIA: Ich glaube, dass Dinge Geschichten ansammeln und speichern (deshalb arbeite ich gerne mit stark abgenutzten Gegenständen, Kleidern und Räumen). Ich bin sicher, dass einige der Verbindungen, die man hier sehen kann, an den Arbeiten haften bleiben, selbst wenn diese nicht zusammen ausgestellt werden.
- ANNA: Die starken Verbindungslinien, die sich kontinuierlich durch mein Werk ziehen, spielen mit der Idee von Original und Fälschung, von Wirklichkeit und Kopie. Vor einem Jahr, letzten September, haben Douglas Gordon und ich eine Ausstellung gemacht, bei der wir mit verwandten Themen spielten. Ich habe es wirklich genossen, ausgehend vom Werk eines anderen Künstlers zu arbeiten. Und als Mia darüber sprach, diese Ausstellung zusammen zu machen, dachte ich, es könnte eine Herausforderung sein, eine visuelle Ebene zu schaffen, die die Arbeiten immer miteinander in Beziehung setzen würde. Der Gedanke, dass die Arbeiten aus der Städtischen Galerie Bremen selbst nach der Ausstellung verbunden bleiben, wo auch sie zu sehen sein werden, hat mir gefallen. Ich bin definitiv eine größere Romantikerin im Hinblick auf meine Beziehungen zu meinen Freundinnen als in Bezug auf einen Mann, Freund oder Ehemann.