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Im Dialog Anna Gaskell und Mia Unverzagt

 

Dialog ist ein Ausstellungsformat der Städtischen Galerie Bremen, in dem Bremer Künstlerinnen und Künstler mit ihren bestehenden internationalen Kontakten präsentiert werden. Mia Unverzagt tritt mit ihrer New Yorker Kollegin Anna Gaskell in Dialog. Beide Künstlerinnen haben für die Ausstellung in Zusammenarbeit neue Arbeiten entwickelt, die jede für sich stehen, in der gemeinsamen Präsentation jedoch zahlreiche Verbindungen zeigen. Für ihren Videofilm Telling Stories (2015) hat Anna Gaskell mit 16 Schauspielerinnen gearbeitet. In einer Castingsituation erzählen sie vorgegebene Sexgeschichten als eigene Erlebnisse, die Anna Gaskell über Jahre aus den Berichten männlicher Bekannter notiert hat. Wie in früheren Werken arbeitet sie mit der Aneignung fremder Erzählungen von intimen Erfahrungen, spielt diese jedoch zum ersten Mal in einem professionellen Rahmen durch, den sie als absurdes Setting, als spezifische Dialogform darstellt, indem sie das Casting für den Film zum Gegenstand des Films macht.

Mia Unverzagt schließt mit I know what boys like (2015) auf einer ebenfalls mediumimmanenten Ebene an und arbeitet mit den gleichen Schauspielerinnen in einer Interviewsituation im Sinne eines „Making of“. Von diesem Dialog bleiben einzelne Fotoaufnahmen der Schauspielerinnen mit jeweils einem Untertitel als Zitat aus deren Aussagen sichtbar. Ihnen werden Ausschnitte aus Wohnzeitschriften der 1970er Jahre zur Seite gestellt, die den sexistischen Erzählungen, mit denen sich die Schauspielerinnen bei Anna Gaskell auseinandersetzen mussten, Interieurs assoziativ zuordnen und die eine Beziehung zu Mützen und Tüchern herstellen, aus denen die Akteurinnen eine Bekleidung für ihre „Rolle“ wählen konnten. Beide Künstlerinnen spielen dialogisch mit Dialogformen und Beziehungs- und Rollenmöglichkeiten, indem sie sich zueinander in ein künstlerisches Verhältnis setzen, ihre Arbeiten trotz ihrer exakten Kontrolle von Abläufen und der Auswahl der sichtbaren Bilder in hohem Maße der Interaktion mit den Schauspielerinnen überantworten und deren Aussagen in direkter Konfrontation dem Publikum der Kunstwerke gegenüberstellen. Es entsteht ein Spiel aus Aussagen und Kommentaren. In diesem Rezeptionsdialog fügen beide Ansätze ihren Teil zu den Themen Sexismus, Rollenaneignung, Geschlechterkonstruktion und Dialog bei, von denen der Videofilm und die Fotografien als autonome Kunstwerke nicht in gleichem Maße abhängig sind, die sie jedoch in besonderem Maße auszeichnen. Die beiden jüngsten Werke lösen ein Versprechen ein, welches sich im Œuvre beider Künstlerinnen findet, dem ein dialogisches Arbeiten, ein dialogisches Prinzip, zugrunde liegt. Mia Unverzagt entwickelt Foto-Performances, Foto-Inszenierungen, Foto-Enactments in Zusammenarbeit mit den Darzustellenden und mit großer Offenheit für den Prozess des Dialogs. Er entsteht aus bestimmten Fragestellungen ihrerseits und in der Interaktion zwischen den Dargestellten und ihrer Kamera, die entsprechend die Neutralität des Mediums negiert, die der Fotografie nach wie vor zugeordnet wird. Paradigmatisch für ihre Form eines Kunstdialogs steht die mehrere Serien umfassende Werkgruppe Darüber reden wir noch (2005 – 2009). Personen eines bestimmten Ortes wurden nach ihren Geschichten, Gefühlen, Erlebnissen oder Meinungen zu einer persönlichen Thematik befragt. Das Gespräch, das geführt wurde, ergab als rezipierbare Ergebnisse zwei bis drei Fotografien der Personen, die sich aus einem Fundus an farblich oder ornamental ähnlichen Kleidungsstücken für ihren „Auftritt“ bekleideten. Die Fragestellung taucht meist im Untertitel jeder Serie auf, ansonsten weiß man auf einer textlichen Ebene nicht, worüber gesprochen wurde. Dennoch vermitteln die Fotografien, so wie die Dargestellten sich selbst präsentieren, die Künstlerin sie in Szene setzt und für ihre Repräsentation ausstellungswürdige Bilder auswählt, wesentliche Aussagen aus der jeweiligen Erzählung – die allerdings wiederum sprachlich nicht fassbar, also im Dialog der BetrachterInnen über die Fotos nicht verifizierbar sind. Sie sind sichtbar, nicht lesbar, sie sind erfahrbar, indem man sich zu ihnen in Bezug setzt, dieser Bezug ist jedoch vollkommen subjektiv. Für die Serie Rot ist es zum ersten direkten Dialog mit Anna Gaskell in einer künstlerischen Arbeit gekommen, die in einem roten Morgenmantel nach ihrer größten Verlassenheit befragt wurde. Ihre Erzählung kennen wir nicht, obwohl sie im Kontext ihres eigenen Werkes, das vielfach auf persönliche Erlebnisse rekurriert, spannend wäre. Aber sie bestätigt, vor allem in ihren jüngsten Videoarbeiten, ihre Offenheit für Dialoge mit anderen Künstlerinnen und setzt sich, ihr künstlerisches Vorgehen und Form und Inhalt der Kunstwerke in starken Bezug zu ihnen.

Neben der Arbeit mit und über die Tänzerin Svetlana Lunkina in & Juliet (2013), The Stronger (2014), Balletomane (2014) und Regarder la Mort (2014), in denen sich Anna Gaskell vollkommen in die ihr fremde Kunstform und den künstlerischen Ansatz Lunkinas hineinfilmt, hinein begibt, gilt dies für das Video Echo Morris (2014). Hier wirft sie einen Blick auf Werk und Leben der Künstlerin Sarah Morris. Die gleichzeitig intime wie scheinbar anonyme, fast kühle, oberflächliche Betrachtung der Kollegin kippt kontinuierlich aus der dokumentarischen Vermittlung, die sie reklamiert. Angesichts einer Konvergenz von Anna Gaskells filmischem Blick und Sarah Morris´ Arbeiten, Wohnen, Reisen, entsteht der Eindruck einer zu perfekten, einer inszenierten Dokumentation. Wüsste man es nicht, könnte man meinen, dass Sarah Morris einschließlich ihrer zu dem vermittelten Bild/Image passenden künstlerischen Produktion eine Erfindung von Anna Gaskell ist. Dennoch ist diese Wirkung wesentlich abhängig von dem spezifischen Ansatz von Sarah Morris, sie entsteht aus dem Dialog, auf den sich Anna Gaskell eingelassen hat und den sie mittels ihres Films und ihrer Bildsprache ähnlich reflektiert wie den – ebenfalls künstlichen – Dialog mit den Schauspielerinnen in Telling Stories.