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Mia Unverzagts fotografische Serien
Die fotografische Serialität ist ein Grundprinzip der Arbeiten von Mia Unverzagt. Erst die Wiederholung und ihr konzeptuelles Gegenstück, die Abweichung, scheinen dem einzelnen Bild innerhalb eines Ganzen den Rahmen zu geben und es damit im Hinblick auf seine Gültigkeit zu überprüfen. Handlungsanweisungen an die porträtierten Personen, vager oder ausformulierter Art, Fragen als Basis für Dialoge, die eine bestimmte Haltung vorgeben, stellen wesentliche Aspekte des Œuvres der Künstlerin dar. Oft wird ein visueller Rahmen gesetzt – ein bestimmter Ort, eine vorgegebene Auswahl an Kleidungsstücken, die Drapierung derselben etc.. Diese Konstanten, die sich in die seriellen Arbeiten einschreiben, stellen für die Porträtierten gleiche „Ausgangsbedingungen“ her. Sie formieren dergestalt ein Setting, innerhalb dessen die Aktion abläuft. Dieser Rahmen ist durch die Künstlerin definiert, das Ergebnis der (Inter)Aktion hingegen bleibt radikal offen.
Auch wenn formulierte Handlungsanweisung oder an die abgelichteten Personen gerichtete Fragen Ausgangspunkte zahlreicher Werke sind, so bleibt die Sprache im Endprodukt der einzelnen Fotografie und der gesamten Serie außen vor. Sie schafft zwar die Umgebung, die Stimmung, sie bereitet den Weg zu den angesprochen, mitunter auch stark emotional besetzten Thematiken, aber sie wird als individuelle Geschichte nicht lesbar. Und dennoch ist sie das Instrument der Welterkennung par excellence, weil sie auf die Beziehung von Subjekt zu Subjekt setzt. Sie generiert somit eine soziale Beziehung, die einen Anderen, ein Gegenüber impliziert, das in der künstlerischen Interaktion Vorstellungen zu bestimmten auch gesellschaftspolitischen Fragestellungen entwickelt, die durch die Implikationen der Künstlerin forciert werden.
Die Themen, die Mia Unverzagt in ihren Werken verarbeitet, haben durchweg einen mehr oder weniger offensichtlichen Erkenntnis- und damit auch Selbsterkenntnischarakter. Es handelt sich um Geschlechterfragen, die mit Verhaltensstrukturen korrespondieren; es sind Vorstellungen von Geschlechterbildern, die zugleich auch Identitätsbilder evozieren, provozieren und irritieren; es sind soziale Beziehungen und Verknüpfungen, die auf gesellschaftliche Normen und Rollen, Traditionen und Wertevorstellungen unterschiedlicher Generationen und den Wandel dieser Strukturen verweisen. Diese zugrunde liegenden Strukturen des Miteinanders werden für die Künstlerin entweder im Gespräch mit den Sujets ihrer Bilder oder auch in den Objekten der alltäglichen Welt selbst ablesbar. Kleidung, vielleicht weil sie dem Körper so nahe ist und ihn dabei verhüllen oder entblößen, verstecken oder inszenieren kann, avanciert zu einem ausschlaggebenden, wenn auch ambivalenten Element. Kleidung als Verkleidung, als Kostümierung oder im Gegenteil hierzu als „Uniform“, d.h. als vereinheitlichendes Moment, als Mittel der Identität oder als Code einer Rolle werden in den Fotografieserien bewusst eingesetzt und hinterfragt. Die Kittelschürze als Symbol einer weiblich konnotierten häuslichen Sphäre oder die unifizierende Einfarbigkeit, die beige Farblosigkeit anderer Werkreihen sind nur einige kontroverse Beispiele für die Relevanz der Gewänder im Werk der Künstlerin.
Der Körper und seine Haltung, seine Inszenierung, das Gesicht und seine Mimik, sein Pathos – all diese nonverbalen Zeichen formieren einen visuellen Bedeutungspool, der ein sehr instinktives, unmittelbares Kommunikationsmedium darstellt. Auf diese Aspekte richtet sich die Wahrnehmung der Betrachtenden, die im Bild nicht die individuelle Geschichte der Porträtierten rekonstruieren, die ohnehin für sie an keiner Stelle zu rekapitulieren wäre, sondern vielmehr eine universelle Problematik des Menschseins erkennen. Der so geschaffene Reflexionsraum ist offen für die Assoziationen, die Erfahrungen, die Erinnerungen und Projektionen, die sich an der Rezeption des Bildes entzünden.
Mia Unverzagts fotografische Serien sind – obgleich ihrer Grundprinzipien der Reihung und Wiederholung – keine wissenschaftlichen Experimente, die auf empirischer Basis Gesellschaftsanalyse betreiben. Dennoch legen sie gesellschaftlichen Strukturen offen, die durch die Fokussierung auf den Einzelnen in klar definierten – gelegentlich auch paradoxen – Situationen soziale Zusammenhänge wahrnehmbar werden lassen. Den Einstieg gewährt oftmals die Sprache, den weiteren Weg aber muss das Bild im Zusammenspiel mit der Wahrnehmungslust der Rezipierenden leisten.
Der Titel der Fotografieserie Du wartest bis du gerufen wirst impliziert eine Erwartung. Die an die auf den Arbeiten abgebildeten Personen gerichtete Aufforderung wird für die Betrachtenden in ihren Haltungen und Gesichtern, in ihrem Beieinander ablesbar. Die Aufforderung hält die Wartenden in regungsloser Anspannung und verankert sie damit am Ort ihres Seins. Dieses Verharren in aufmerksamer Regungslosigkeit richtet sich auf den Moment des Rufens, des versprochenen Zeichens, der eine Art Auflösung der Situation bereithält. Ablenkung und Konzentration, Spiel und Innenschau, Miteinander und Vereinzelung bestimmen die Szenerie, die in der Agonie des Verharrens die Zeit fühlbar werden lässt, fast so, als würde sich dieser Moment aus dem Kontinuum des Zeitflusses herauslösen lassen. Auf jemanden/etwas warten oder umgekehrt jemanden warten zu lassen, bestimmen nicht nur das Verhältnis der fotografierten Personen zur performativen Handlungsanleitung der Künstlerin, sondern zeigen zugleich auch eine durch Hierarchisierung charakterisierte Rollenverteilung auf, deren Ungleichgewichtung sich auf die Rezipierenden überträgt. Sie werden zu Teilhabenden der Anspannung, der Langeweile, der Erwartungshaltung. Zugleich sind die Szenerien aber auch durch eine enorme Poesie geprägt, die sich zum einen durch die Wahl des Ortes und zum anderen durch eine weitere Vorgabe der Künstlerin, aus einer Menge von zur Verfügung stehenden Kleidern eine Auswahl für die „eigene Verkleidung“ zu treffen, auszeichnen. Die bunten Kleidungsstücke kontrastieren mit dem Charme des verlassenen und teilweise verfallenen Hauses, das an einen fiktiven Ort der Kindheit – die Villa Kunterbunt aus Astrid Lindgrens Pippi-Langstrumpf-Romanen – erinnert.
Sich um die Pilze kümmern, so lautet die Handlungsanweisung der Künstlerin für die Fotografieserie, die nicht wie es der Titel vielleicht suggerieren könnte, sich auf die alltägliche Zubereitung eines auf dem Herd stehenden Essens bezieht, sondern auf den konkreten Handlungsakt vor Ort im Wald, wo die Pilze für gewöhnlich ohne menschliches Zutun wachsen. Dort nimmt der nur mit OP-Kitteln bekleidete Mann Berührung mit seiner Umgebung auf. Mit nackten Füssen schreitet er über den laubbedeckten, bemoosten Waldboden, kniet nieder, berührt die Pflanzen, liegt neben den Pilzen auf der Erde, verschmilzt mit einem abgesägten Baumstumpf, in dessen ausgehöhltem Inneren kleinere Pilze wachsen. Konzentration und Fokussierung auf die Aufgabe prägen die absurde Szenerie, die aber auch einen fast zärtlichen Umgang mit der Umgebung des Waldes und seiner Pflanzen widerspiegelt - eine Versenkung in den Ort und die Aufgabe. Dieses Aufgehen im Ganzen wird besonders bei einem Bild der Serie deutlich, auf dem nur noch die OP-Kittel und nicht die Person, die sie getragen hat, zu sehen sind. Aufgehängt an den Ästen eines Baumes rufen sie das Bild eines Abschieds hervor. Der Mensch hat sich scheinbar in der Szenerie des Waldes aufgelöst.
Rosa für Mädchen und Hellblau für Jungs – bereits im frühen Säuglingsalter werden geschlechtsspezifische Differenzierungen nicht nur im Hinblick auf das farbliche Konzept der Kleidung vorgenommen. Die Farbe Rosa (besonders, wenn sie als pastellfarbene Variante des aggressiveren Pink erscheint) steht als Zeichen von Zartheit und Weiblichkeit. So erscheint die in Rosa gekleidete Akteurin der Fotoserie Die Blumen ohrfeigen, eine reife Frau mit bereits ergrauten Haaren, als eine konservative Vertreterin unserer bürgerlichen Gesellschaft. Im Hintergrund wird dies auf einigen Arbeiten durch das abgelichtete kleinbürgerliche Ambiente (die typische Schrankwand unzähliger Wohn- oder Esszimmereinrichtungen) unterstrichen, wodurch sich der Eindruck einer angepassten, die klassischen Rollenvorstellung bedienenden Person verstärkt.
In der Handlungsanweisung der Künstlerin, die Blumen zu ohrfeigen, liegt nicht nur die Absurdität der Aktion, die auch eine gewisse Komik in sich trägt, verborgen, sondern auch deren Traurigkeit oder Hilflosigkeit. Der Moment des Ohrfeigens, die Konzentration auf die Handlung, die Ernsthaftigkeit der Durchführung sowie das Resultat nach vollbrachter Tat, das die Täterin durchaus mit einer gewissen Art und Weise von Stolz zu erfüllen scheint, sind auf den Bildern der Serie festgehalten. Die Zerstörung ist weniger grausam als poetisch, die ebenfalls rosafarbenen Blüten, vereinzelte Blätter und ein wenig Erde liegen malerisch auf der weißen Tischdecke. Der Moment des Ohrfeigens der Blüten ist nicht abgebildet, da die Kamera über die Pflanze hinweggeht und nur die Bewegungen der Hand, nicht aber das zu „bestrafende“ Objekt einfängt. Es entsteht eine Leerstelle für Projektionen, was sich anstelle der Blumen dort auch befinden könnte.
Die Kittelschürze erscheint uns als ein Relikt aus nicht allzu ferner Vergangenheit. Sie war das klassische Kennzeichen für den weiblichen Arbeitsbereich, da sie typischerweise beim Verrichten von Hausarbeiten übergezogen wurde, um die sich darunter befindenden Kleidungsstücke zu schützen. In dieser Hinsicht stellt sie das vestimentäre Pendant zum Blaumann dar, der den männlichen und vorwiegend außerhäuslichen Arbeitsbereich kennzeichnet. In dieser geschlechterspezifischen Aufteilung von Kleidungsstücken und Orten – Kittelschürze ist weiblich und häuslich, Blaumann ist männlich und außerhäuslich – nimmt der verlassene Wohnraum, an dem die Bilder der Fotoserie entstanden, eine kommentierende Funktion an. Hat sich die typisch weibliche Sphäre, die durch traditionelle Hausarbeiten charakterisiert war, gewandelt? Ist sie zu einem Geschlechterklischee der Vergangenheit geworden?
Die Künstlerin hat der porträtierten Frau mehrere Kittelschürzen mit unterschiedlichem Design zur Auswahl gestellt, die sie in leeren Hochhäusern in Bremen-Tenever vor den teilweise abgewohnten, mit altmodischen Tapetenmustern beklebten Wänden getragen hat. Auch wenn die Aufnahmen nur kleine Raumausschnitte zeigen, so sieht man dennoch, dass die Wohnungen leer und verlassen sind. Dies erweckt den Eindruck, als wäre die vor den unterschiedlichen Wänden porträtierte Frau zurückgelassen worden, als sei auch sie als Modell mit Kittelschürze ein ausgedientes, den vergangen Zeiten angehörendes Klischee. In diesem Zusammenhang wird sie selbst zu einem Bild der Vergangenheit.
Die Fotoserie Weiblichkeit und Macht setzt dort an, wo die beiden titelgebenden Konzepte klassischerweise als Gegensätze verstanden werden – nämlich in der lateinamerikanischen, durch patriarchale Strukturen gekennzeichneten Machokultur Mexikos. Dort hat die Künstlerin mexikanische Männer und Frauen porträtiert, denen sie geschlechtsbezogen jeweils eine unterschiedliche Frage gestellt hat. Die Männer wurden gefragt, wann sie sich am weiblichsten gefühlt haben, und den Frauen wurde die Frage gestellt, wann sie Macht hatten. Die sich daraus entwickelnden Gespräche, bei denen die Künstlerin die jeweiligen individuellen Geschichten der Porträtierten zu hören bekam, sind nicht Teil der Arbeit. Sie werden an keiner Stelle als Text oder Dokumentation den Fotografien beigegeben.
Der Rahmen, innerhalb dessen die Männer- und Frauenporträts entstanden sind, unterscheidet sich dahingehend, dass zwar beide Gruppen vereinheitlichende Kleidungsstücke tragen, aber zwischen verschieden bemusterten Stofftüchern wählen konnten. Die Männer allerdings mussten das Stofftuch über die Beine legen, so dass dadurch bereits eine eher weibliche Drapierung des Tuches suggeriert wurde, während es bei den Frauenbildern als kräftigfarbener Hintergrund für die Szenerie dient. Das über die Beine gelegte Tuch ruft zugleich nicht nur den Eindruck eines Zurückziehens und Versteckens, sondern auch den Eindruck einer eingeschränkten Bewegungsfreiheit hervor. In diesem Kontext treten nun die Gesichter und mit ihnen die unterschiedlichsten Regungen der Personen, die sie beim Beantworten der an sie gerichteten Fragen verspürten, sehr deutlich hervor. Auch wenn die individuelle Geschichte im Dunkeln bleibt, so lässt sich doch in den Mimiken lesen. Bilder von Verunsicherung und Abneigung, von Freude und Überraschung sind entstanden, die basierend auf den provokanten Fragen der Künstlerin einiges über die Rollenverteilung sowie die Wertigkeiten der patriarchalen Gesellschaft Mexikos aussagen und zugleich die Betrachtenden ebenfalls dazu provozieren, ihre eigenen Vorstellungswelten im Hinblick auf das Verhältnis von Weiblichkeit und Macht zu überprüfen. Wie hältst du es mit den Qualitäten von weiblicher Macht beziehungsweise männlicher Weiblichkeit – so könnte die Gretchenfrage hier lauten.
Der Titel Andere Fauna provoziert die Vorstellung einer Exotik, etwas ist anders als das Gewohnte. Aber zugleich zeigt er auch die Möglichkeiten der Imagination auf. Bei den Arbeiten dieser Serie handelt es sich Fotografien, die Kinder und Jugendliche beim Betrachten von Pflanzen zeigen, die wir nicht so ohne weiteres in unseren Breitengraden verankern können. Entstanden sind die Aufnahmen in Mexiko im Bundesstaat Hidalgo, wo die Fotografien nachträglich von Einwohner/innen bestickt wurden, die die Künstlerin zuvor gebeten hatte, etwas zu imaginieren, was die Personen auf den Bildern gesehen haben könnten. So ist eine farbenfrohe Fantasiewelt entstanden, die die Betrachtenden in die Schönheit der Imagination entführt.
Die Worte Ins Auge fassen rufen eine sprachliche Ambiguität hervor, die sowohl die konkrete Handlung im wörtlichen Sinne als auch die im übertragenen Sinne zu verstehende Zielsetzung impliziert. Zu sehen sind auf den unterschiedlichen Aufnahmen der Serie zwei Jugendliche in einem verlassenen Raum, in dem sich noch Reste eines Lebens, ein Waschbecken an einer gefliesten Wand und ein leerer Schrank befinden. Beide Personen tragen beigefarbene Kleidung, die keine eindeutige geschlechtliche Zuordnung erlaubt, obgleich einige Anzeichen (wie die transparenten Nylonstrümpfe oder die Sandalen) dies zu suggerieren scheinen. Die Agonie des Momentes, der die Protagonisten der Serie auf die wenigen Quadratmeter des Raumes bannt, überträgt sich auf ihre Gesten und Körperhaltungen. Fast nichts geschieht und dennoch scheint die Szene von großer Intimität aufgeladen zu sein. Die Betrachtenden kommt in die Verlegenheit , sich fast wie Voyeur/innen zu fühlen, die in die Selbstversunkenheit der Personen blicken.
Im Wechsel aus Hoch- und Querformaten entspannt sich die Fotografieserie Was wir auf dem Land tun. Die einzelnen Arbeiten zeigen im lockeren Rhythmus alternierend zwei Personen, die dem Titel der Serie folgend, auf den ersten Blick das tun, was man auf dem Lande so tut... oder von dem vielleicht ein klischeevoller Blick annimmt, was man auf dem Land so tut. Doch Aufmachung und Ambiente sowie die ausgeführten Tätigkeiten versetzen die Betrachtenden in Irritation. Während die hochformatigen Arbeiten vielfach der jünger wirkenden Person zugeordnet sind, die eindeutig männliche Kleidung trägt, gelegentlich ostentativ in die Kamera blickt und sogar vor Motiven aus dem intimen Bereich des Badezimmers beim scheinbaren Urinieren nicht zurückschreckt, sieht man auf den querformatigen Arbeiten oftmals in gebückter, in sich verschlossen, von der Kamera abgewendeter Haltung einen Mann beim Verrichten von klassischen Hausarbeiten wie Staubwischen, Aufräumen, Putzen etc. Jeder Ansicht beraubt, scheint er versunken in den Tätigkeiten des Hauses aufzugehen. Selbst beim einzigen Bild, das ihn frontal einfängt, weicht er dem Blick des Anderen, der Kamera, aus, indem er konzentriert die merkwürdige Kleidung, die er trägt, glattstreicht oder vielleicht sogar einen Fussel entfernt. Beide Personen tragen, das ist klar erkennbar, die Kleidung eines anderen. Dies ist nicht nur im voluminösen Jackett der als „männlich“ charakterisierten Figur oder vice versa in den viel zu kleinen Schuhen der anderen Person ablesbar, sondern auch im Stil und in der Beschaffenheit der Kleidung selbst.
Auch ohne die Handlungsanweisung der Künstlerin zu kennen, die mit ihrem Mann nicht nur einen Rollen-, sondern auch einen Generationen übergreifenden Kleidungstausch inszeniert hat, wird ersichtlich, dass es hier um die Unsicherheit der Zeichen, Rollen und Geschlechterverhältnisse geht. Nicht nur, dass die männlich oder weiblich denotierten Kleidungsstücke zwischen den Geschlechtern vertauscht wurden, sie sind zugleich auch Träger von Konnotationen, die auch eine historische, zeitliche Verortung zulassen. Sie sind Zeichen einer kaum vergangenen Epoche. Ihr Stil, ihr Schnitt, ihr Material verweisen in die nicht allzu ferne Vergangenheit. Auch ohne das Wissen, dass die Künstlerin und ihr Mann die Kleidungsstücke ihrer Großeltern tragen, wird deutlich, dass geschlechterspezifische Rollenklischees und deren historische Verankerung hier auf den Prüfstand gehoben werden. Da es sich eben nicht um eine distanzierte historische Kostümierung, sondern für die Künstlerin um erlebte Vergangenheit handelt, wird der in den Arbeiten durch den Rollentausch angedeutete Wandel geschlechterbezogenen Agierens auch für die Betrachtenden zu einer Reflexionsform. Sie staunen dergestalt nicht über eine historisch weit zurückliegende gesellschaftliche Struktur, sondern können die Verbundenheit mit den damaligen Gegebenheiten anhand ihrer eigenen Erfahrungen analysieren. Pikanterweise taucht in der Abfolge der Arbeiten auch eine intime Szene im Badezimmer auf, deren angedeutete Handlung „im Stehen zu pinkeln“ ironisch das Konzept von Männlichkeit aufbricht.
Ein schönes Bild für die gesamte Haltung, die sich durch die künstlerischen Arbeiten Mia Unverzagts zieht.