Kittelschürzen
In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigt sich Mia Unverzagt immer wieder mit den gewöhnlichen Facetten unseres Alltags, der in ihrer Darstellung freilich befremdliche Dimensionen offenbart. Die dabei von ihr geschaffenen Bilder geben den Blick frei auf eine paradoxe Normalität, die behäbig scheint und doch verstörend wirkt.
Ihr Projekt „Küchenschürzen“ fügt sich trefflich in dieses paradoxe Schema der „homogenen Inkompatibilität“ ein: Eine Frau nicht bestimmbaren Alters und sozialer Herkunft hält sich in einem leeren Raum auf. Ihre äußere Erscheinung ist unauffällig: Braunes, links gescheiteltes, mittellanges Haar, kurzärmeliger Pullover, Kittelschürze, zuweilen ein Rock unter der Schürze und offene Sandalen. Der Blick der Frau geht ins Nichts. Ihr Äußeres verändert sich zwar in Nuancen von Bild zu Bild, bleibt sich aber auch auf merkwürdige Art gleich; zugleich versinkt ihre Erscheinung in einem nahezu diffusen Kontext. Die Protagonistin wirkt irgendwie abgestellt, ohne archimedischen Punkt, wie zufällig anwesend; sie vermittelt eine merkwürdige Mischung aus Melancholie und Ratlosigkeit. Ihre Umwelt bildet eine Art Niemandsland - wir erahnen einen leeren Raum in einem verlassenen Haus. Dabei fällt schließlich auch die farbliche Affinität von Tapete und Küchenschürze auf.
Die Frau wirkt irgendwie verzagt, sie verströmt nicht die mächtige Aura einer aktionsbereiten Hausfrau: Sie nestelt an der Schürze, blickt gesichtslos aus dem Fenster, wendet uns ihren Rücken zu, bewegt einmal ziellos den rechten Arm, steht an die Wand gelehnt und ist auf zwei Bildern selbst in eine an der Wand hängende Photographie integriert, wobei auch ihren verdoppelten bildlichen Darstellungen die gleiche merkwürdige Distanz, ja Absenz, eigen ist wie ihrem unmittelbarem photographischen Konterfei.
Warum wirkt die Frau nur so teilnahmslos? Bildet sie mit ihrer Küchenschürze einen Teil ihres eigenen Hintergrundes? Befindet sie sich inmitten einer Metamorphose, die sie von einem dreidimensionalen Menschen zu einem in die Tapete integrierten zweidimensionalen Phänomen mutieren lässt? Eine derartige Deutung legen die in die Bilder integrierten Bilder nahe. Das zum Bild minimierte menschliche Individuum verschwindet, der Mensch als Subjekt wandelt sich zum Objekt in einem leeren Raum. Bleibt dann nur noch die in der Küchenschürze verobjektivierte Rolle einer Hausfrau; ist dies der Preis eines Daseins als Hausfrau als ein „anachronistisch geblümtes Subjekt“ in einer „amorph geblümten Umwelt“ zu verschwinden? A woman lost in kitchen?
Nach einer Vielzahl spektakulärer Präsentationen zeigt auch ihre Bilderschau „Kittelschürzen“, dass es Mia Unverzagt gelingt, mit ihrer narrativen und assoziativen Kunst Fragen aufzuwerfen, ohne Antworten vorzugeben. Ihre Bilder sind eben nicht irreduzible Gegenstände der vor ihnen sprachlosen Anschauung, nein, sie sind vielmehr Anstöße für eine ebenso lebendige wie offene Wahrnehmungs- und Argumentationskultur; sie sind im besten Sinne des Wortes Anstöße zum Weiterdenken und damit der Aufklärung verpflichtet. Oder cum grano salis vielleicht auch mit den Worten von Pablo Picasso: „Wir alle wissen, dass Kunst nicht die Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können.“
Prof. Dr. Hartmut Wagner